Church of Euthanasia

The One Commandment:
"Thou shalt not procreate"

The Four Pillars:
suicide · abortion
cannibalism · sodomy

Human Population:
SAVE THE PLANET
KILL YOURSELF




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Reverend Chris Korda: Strychnin Und Verzweiflung

TEXT: HIÄS WRBA.

Gedanken und Glaubenssätze schleichen sich beizeiten auf den seltsamsten Umwegen durch den Irrgarten der Geschichte. Über Jahrhunderte hinweg finden sich seltsame Berührungspunkte, unsichtbare Linien verknüpfen das Streben des Kulturtieres Mensch. Nicht mehr und nicht weniger als "lipstick traces". Mitte des 12. Jahrhunderts hatte im Süden Frankreichs eine der ersten ketzerischen Glaubensgemeinschaften ihre Blütezeit. Die Katharer. Deren dualistische, gnostische Bibel- interpretation zwang sie nicht nur zu Armut, sondern untersagte es ihnen auch strikt sich fortzupflanzen, um nicht noch mehr zu erlösende Seelen in die Welt zu setzen. Die Katharer erreichten mit ihren Ansichten erheblichen Einfluss und brachten die katholische Kirche nicht nur dazu, die Inquisition ins Leben zu rufen, sondern auch noch das Prinzip Kreuzzug zu etablieren, von dem dieser Tage wieder so viel zu hören ist. Roms Gegenmaßnahmen führten zum Erfolg und somit durch die Verbrennung von Guillaume Belibaste, dem letzten geweihten Katharerpriester, zum Aussterben des Glaubens.

Heute, nur gut 800 Jahre später, sitzt mir mit Reverend Chris Korda das Oberhaupt einer Glaubensgemeinschaft gegenüber, die an einem ganz ähnlichen Punkt ansetzt. Auch wenn der Hintergrund ein anderer ist, das Problem ist dasselbe. Der unaufhaltsame Fortpflanzungstrieb des Homo Sapiens. So spricht denn auch ein überaus eloquenter, höflicher und nicht zuletzt enorm charismatischer Musiker auf die Bitte hin, seine Überzeugungen kurz zusammenzufassen, wie folgt:

"Die Church of Euthanasia ist eine religiöse Gemeinschaft, die sich der Wiederherstellung der Balance zwischen Menschen und den verbleibenden nichtmenschlichen Lebensformen durch freiwillige Bevölkerungsverminderung verschrieben hat. Jedes unserer Mitglieder verpflichtet sich auf Lebenszeit dazu, keine Kinder zu zeugen und damit das erste und einzige Gebot der Kirche zu befolgen 'lhr sollt euch nicht fortpflanzen'. Die weiteren vier Säulen der Church of Euthanasia, Selbstmord, Abtreibung, Kannibalismus und Sodomie sind alle optional."

Um Missverständnissen vorzubeugen sei gesagt, dass Sodomie in diesem Fall nicht die Liebe gewisser Landwirte zu ihrem Nutzvieh meint, sondern jegliche Form von Sex, die nicht der Fortpflanzung dient. Die Propagandamittel, derer sich die Kirche bedient, um ihren Glauben unters Volk zu bringen, sind ebenso fantasie- wie wirkungsvoll. So werden am Rande von Kundgebungen christlicher Abtreibungsgegner Gegendemonstrationen abgehalten, Korda tourt mit seiner Musik durch die elekronikaffinen Nachtclubs der Welt und unlängst wurde mit dem Kunstmarkt ein Terrain erobert, auf dem die Kirche bisher nicht vertreten war. Ihr Beitrag zu der Gruppenausstellung "Transsexuel Express" in Barcelona wurde, zusammen mit einem Selbstporträt der chronisch nackten Britin Tracey Emin, auch prompt zensiert. Aufmerksamkeit durch Provokation ist Kordas Zauberformel, mit der er sich deutlich von anderen Formen des zivilen Widerstands abgrenzt.

"Es ist eine alte linke Idee, dass man gegen die Polizei oder die Armee am besten demonstriert, indem man sich vor irgendwelche Panzer legt oder Blumen in Gewehrläufe steckt. Ich empfinde das als sehr naiv Die Techniken, die funktionieren, sind viel zynischer, ironischer und intelligenter. Man muss Provokationen schaffen, die die Medien manipulieren, um sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen."

Dass man dabei immer Gefahr läuft, in die Rolle des Hofnarren gedrängt zu werden, ist Korda durchaus bewusst. Das potenzielle Interesse für den gedanklichen Hintergrund, der beileibe kein Scherz ist, muss sich erst seinen Weg durch ein Sammelsurium böser Slogans und überdrehter Aktionen bahnen. Was dann aufscheint, ist eine Philosophie, die vertritt, dass wir bereit sind, "... bis zum Tod dafür zu kämpfen, uns selbst zu beweisen, dass wir die Krone der Schöpfung sind. Wenn nötig werden wir jeden Baum auf der Erde fällen und jedes letzte Fleckchen Wildnis ausrotten, um diesen Glauben zu verteidigen." Der menschliche Größenwahn reißt, so Korda, nicht nur unsere Umwelt, sondern auch uns selbst in den Abgrund. Auf perfide Weise sind wir damit wirklich so etwas wie das Ende der Evolution, für das wir uns so gerne halten. Die masterrace mit eingebautem Selbstzerstörungs- mechanismus. Eine derart pessimistische Weltsicht gebiert klare kalte Gedanken und beißenden Spott. Die Kekse, die die Jungendabteilung der Church of Euthanasia braven Bürgern an der Haustür anbietet, sind gebacken aus Strychnin und Verzweiflung, serviert mit dem süßesten Lächeln. Es geht Chris Korda nicht um romantisch verbrämte Todessehnsucht, sondern um eine nüchterne Zurschaustellung des Wahnsinns, der uns umgibt. Der Tabubruch ist Konzept. In "I Like to Watch", seinem ersten Musikvideo, ist CNN-Material vom 11. September zusammen mit Cumshots und Jubelszenen aus Footballspielen zu sehen. In der dazugehörigen Erklärung geht er sogar noch einen Schritt weiter. "Ich glaube nicht, dass ich der einzige Mensch bin, für den es eine sexuelle Befriedigung war, zwei der größten amerikanischen Gebäude zerstört zu sehen, aber ich glaube, dass ich einer der wenigen bin, die das öffentlich zugeben." Wenn Korda so spricht, dann predigt er und mag sein apokalyptisches Evangelium auch teilweise sehr gewagt und zynisch sein, so sagt er doch vieles, über das man nicht einfach so hinwegdenkt. Der wiederkehrende Traum, dass es unserem Planeten ohne uns ein gutes Stückchen besser gehen könnte, ist ja auch manchmal gar nicht so schwer nachzuvollziehen. Schade nur, dass bei all dem, was hier an interessantem Gedankengut transportiert wird, so gut wie keine Zeit bleibt, über Kordas neue EP zu reden. Aber auf die abschließende Frage, ob ihn das nicht störe, meint er nur, dass ihm "ideology articles" eh lieber wären. Na dann, so be it.

Die "When It Rains E.P". von Chris Korda erscheint bald bei Int. Gigolo/EFA.

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